Start-Up nach 100 Tagen…

Die Bemerkung vor kurzem «Wir warten gespannt auf die nächsten Blog-Einträge zur Selbständigkeit 😉» erhöhte den latent vorhandenen (selbst auferlegten) Druck, endlich den nächsten Blog zu schreiben derart, dass die Nummer 3 tatsächlich entstanden ist. Der Zeitpunkt kann eigentlich nicht besser sein – die klassische Schonfrist der ersten 100 Tage ist vorbei, Zeit für eine Bilanz.

Vieles ist geschehen, Grenzen haben sich verschoben, neue Blickwinkel sind entstanden. Der Versuch einer Einordnung der 100-Tage-Erfahrungen. In 11 Episoden.

1. Soziales Umfeld
Die grösste Umstellung: Selbständig zu arbeiten, heisst prinzipiell allein unterwegs zu sein. Nach über 20 Jahren Corporate-Umfeld, immer im Team, ist das fundamental neu für mich. Bislang geht es wunderbar, durch die Mandate erfolgt der regelmässige menschliche Austausch automatisch. Etwa die Hälfte der Zeit verbringe ich bei Kunden, die andere Hälfte im Büro.

2. Unterschiedliche Kulturen
Spannend sind die wahrgenommenen Unternehmenskulturen. Die Unterschiede erlebe ich in der Grösse. Sprich: Zwischen Startups, KMU oder mittleren und grossen Unternehmen gibt es enorm unterschiedliche Kulturen, während Firmen in derselben Grössenklasse kulturell ähnlich sind. In Einzelfällen gibt es den korrigierenden Faktor CEO, meist in Richtung mehr Dynamik. Keine brandneuen Erkenntnisse, aber die Unterschiede erstaunen doch, angesichts der allgegenwärtig propagierten Agilität und digitalen Transformation.

3. Jeder Tag ist anders – oder die positive Wirkung meiner «Mandats-Strategie»
Die Abwechslung ist super, jeder Tag bringt Neues. Dies ist eine durchaus bewusst gewünschte Konsequenz meiner Strategie, indem ich Mandate suche (und bislang gefunden habe), welche über eine gewisse Zeit (mehrere Wochen) aktiv sind, mit einer nicht allzu hohen Intensität pro Woche. Dies erlaubt eine Parallelität von Mandaten, mit Nutzen für alle. Nicht zuletzt ist die Nachhaltigkeit der Beratungs-Wirkung höher, da die Beziehung über die Zeit wächst und ein effektiver Wissenstransfer stattfindet. Dies meine Erfahrung; ob das wissenschaftlich belegt ist, weiss ich nicht. Weitere positive Aspekte: Kein Klumpenrisiko (beidseitig), keine Abhängigkeiten, Verzögerungen in einzelnen Mandaten seitens Auftraggeber sind problemlos absorbierbar. Bislang erlebe ich den Luxus, gerade richtig ausgelastet zu sein. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Mal schauen, wie das weiter geht.

4. Keine Leerläufe – Sinn und Nutzen
Meine Mandate sind inhaltlich getrieben und Resultat-orientiert. Leerläufe gibt es nicht. Was ausserordentlich befriedigend ist. Zwei Gründe: Erstens bin ich per Definition von internen Abstimmmeetings ausgeschlossen. Zweitens erfolgt die Berater-Honorierung auf Tagesbasis, womit die Kosten bei Leerläufen rasch sichtbar wären und deshalb von vornherein vermieden werden. Was mich zur philosophischen Frage bringt, ob es mit mehr Beratern weniger Leerläufe gäbe, aber da gäbe es wohl Widerspruch. Wie auch immer – Hauptsache, die Arbeit macht Sinn und stiftet Nutzen!

5. Ehrlichstes Feedback, das man kriegen kann
Zu Beginn war es ein wenig speziell, die eigene Arbeit so ganz direkt «anzupreisen». Als Unselbständiger ist das ja nicht so – einmal eingestellt, gibt es danach zwar Ziele mit Feedbacks, aber doch eher indirekter Natur. Als Berater ist das Feedback äusserst direkt und ehrlich. Die Frage der Kunden ist vor jeder Auftragsvergabe dieselbe: «Ist der Nutzen für meine Organisation grösser als die Mandatskosten?». Die Antwort ist digital und klar – Mandat oder kein Mandat. Ich habe mich überraschend schnell an den neuen Mechanismus gewöhnt und ihn schätzen gelernt – so weiss ich immer, woran ich bin. Zudem sind die verbalen Feedbacks expliziter – woran das liegt, weiss ich jedoch nicht.

6. «Mädchen für alles» – oder «Selbst ist der Mann»
Selbst unterwegs zu sein heisst, für alles zuständig zu sein. Was absolut problemlos ist bisher. Die Administration hat sich eingespielt, der Aufwand ist gering, ein halber Tag pro Monat. Es braucht ein wenig Disziplin bei der internen Zeiterfassung und der Buchhaltung, damit ich da à-jour bin – insbesondere die Rechnungsstellung muss zeitnah erfolgen. Natürlich wegen dem Blick auf die Liquidität, aber auch damit beide Parteien transparent wissen, wo sie stehen.

7. Mit Gelassenheit lebt es sich leichter
Die Planung der Arbeit verlangt ein grosses Mass an Flexibilität – Unsicherheit ist definitiv ein Faktor, mit dem ich als selbständiger Berater umgehen muss. Auch neu ist, dass sich mein Kalender zwar füllt mit Terminen, aber jeweils erst so zwei Wochen im Voraus. Eine gehörige Portion Gelassenheit, verbunden mit der bisherigen positiven Erfahrung, dass sich das Auftragsbuch jeweils füllt, helfen ungemein. Und sollte es einmal einen freien Tag geben – der zu lesende Bücherstapel will abgebaut werden!

8. Brückenbauer
Eine spannende Funktion, die ich immer mehr wahrnehmen kann: Kontakte herstellen zwischen Personen und Unternehmen. Da sehe ich einen grossen Wert, den ich leisten kann. Als Berater bin ich irgendwie unabhängig und bewege mich auf natürliche Weise zwischen Organisationen. Gerade in meinen Gebieten Strategie & Innovation, bei denen es häufig um Ökosysteme geht, sind organisationsübergreifende Brücken zentral für das Gelingen von Vorhaben. Alleingänge führen heutzutage in den seltensten Fällen zu einem positiven Ergebnis.

9. Erfahrung hat einen Wert – und zwar einen grossen
Natürlich spielt die Erfahrung bei jedem Job eine grosse Rolle. Ich erlebe aber, dass deren Wert als Berater nochmals steigt. Denn die Fragestellungen in den Mandaten sind nicht trivial – ein einfaches googeln bringt definitiv keine sinnvolle Lösung. Da hilft häufig die Erfahrung: Was hat in der Vergangenheit funktioniert / nicht funktioniert? Wie löse ich jeweils ähnlich strukturierte Fragen? Wie funktioniert der Markt in der Praxis? Welche Player (intern wie im Markt) verfolgen welche Agenda? Erfahrungen, die – neben dem handwerklichen Können – essenziell sind für den Erfolg von Strategie- und Innovations-Mandaten.

10. Lernen – die Lust, Neues zu entdecken
Ich lerne jeden Tag dazu. Ein neuer Markt. Ein neues Unternehmen. Eine neue Fragestellung. Mit neuen Menschen. Dies gibt grosse Befriedigung und erweitert meinen Horizont. Was noch ein wenig fehlt, ist der Aspekt neue Branchen. Netzwerk-bedingt sind meine Mandate schwergewichtig in der Finanzindustrie, mit ersten Abstechern in den Detailhandel. Gerne würde ich auch Mandate in anderen Branchen wahrnehmen – Strategie und Innovation gibt es schliesslich überall. Ich gebe mir Zeit, es eilt nicht, es wird geschehen.

11. Freude herrscht!
Die ersten 100 Tage fasse ich getrost zusammen mit «Freude herrscht!». Es kann so weitergehen. Vielen Dank an dieser Stelle an alle Kunden, die mir bisher das Vertrauen geschenkt haben. Es macht Spass, und ich freue mich auf die nächsten x-100-Tage.